«Das Schiff schwankt, geht aber nicht unter»– ein Supervisionsmodell für Teams im psychosozialen Bereich (Teil II)
Die zweite Dimension erforscht die Schnittstelle zwischen Innen und Aussen. Manchmal verweichlichen die Grenze und die Teammitglieder sind mehr als anderen exponiert ein Doppelleben zu führen - zwischen Hier-und-Jetzt (in der Institution) und Dort-und-Jetzt (der privaten, intimen und sozialen Beziehungen). Drei verschiedene Rollen bestimmen das eigene Leben der Involvierten: die private, innerhalb des erweiterten Familiensystems, die soziale, insbesondere innerhalb der Institution wo sie arbeiten und letztendlich die professionelle, als Mitglied eines Behandlungs- oder Betreuungsteams. Die ersten beiden Rollenebene erlauben eine gewisse Positionierung. Liebe und Hass können das Leben innerhalb der eigenen Familie bestimmen, sowie Achtung und Missachtung das soziale Leben oder innerhalb einer Institution. Doch die letztere berufliche Rolle erlaubt in der Regel keine solche Polarisierung. Die Beziehung zu den Klienten soll gemäss dem verinnerlichten Berufsbild von Anerkennung, Respekt und Hilfsbereitschaft bestimmt. Eine solche Sublimierungsleistung ist gewiss meist biographisch bedingt und stützt sich auf Gratifikationen auf den anderen Ebenen des Privaten und des Sozialen. Geraten diese ins Schwanken, entsteht die Gefahr, dass die betroffenen Professionelle eine selbstlose Haltung einnehmen: die berufliche Identifizierung nimmt Überhand an, die Grenzen zwischen Innen und Aussen verwischen, Erschöpfung und Resignation gewinnen zunehmend am Boden. Doch jegliche Massnahmen zum Erhalt der work-life-balance bleiben sinnlos ohne eine Arbeit an diesen Grenzen entlang. Sie können nur vergeblich nach der Art der Berliner Mauer verteidigt werden, weil eine solche Strategie genau den notwendigen unbewussten seelischen Austausch zwischen Innen und Aussen verhindert. Nützlich erweist sich das Benennen der Berührungspunkte der unterschiedlichen psychosozialen Räume.
In der dritten Dimension arbeiten wir uns wieder an einer Grenze entlang, keine räumliche mehr, sondern eine historische zwischen Jetzt und Damals im Hier. Jedes Team wie jedes andere soziale Gefüge hat eine Geschichte und innerhalb dieser die Aufgabe Tradition und Fortschritt zu vereinen. Meistens schweben untote «Altlasten» unbemerkt, dennoch wirksam in der Teammatrix und werden erst dann reaktualisiert wann neue Mitglieder die Bühne betreten. Damit entsteht eine neue Polarisierung zwischen Selbstidealisierung und -entwertung, zwischen Alibibehauptungen («früher sind wir besser gewesen») und revolutionäre Bekenntnisse («wir werden alles anders tun»). Unterschiedliche Haltungen entstehen im Team, die meistens unterschwellig verlaufen und nicht direkt, sondern an Nebenschauplätze ausgetragen werden. Die Aufgabe des Supervisors in dieser Konstellation besteht daran durch Verwandlung der stereotypen Subgruppierungen in funktionalen die natürliche zwischenmenschliche Kommunikation wiederherzustellen.
Allerdings erfolgt die Teamentwicklung im Rahmen einer institutionellen Gesamtentfaltung und unter meist wechselbaren gesellschaftlichen Paradigmen. Der Übergang von einer kustodialen sozialen Unterstützung benachteiligten Menschen zum wirtschaftlichen Primat oder von der bedingungslosen Integration zur selbstbefähigenden Inklusion dominieren das aktuelle Diskurs und erzeugen Spannungen im beruflichen Handlungsfeld. Psychosoziale Teams oder Teile davon können sich dieser Entwicklung widersetzen oder neue Paradigmen kritikfrei übernehmen. Solche Tendenzen können leichtfertig als abgegriffenen Konservativismus oder beruflichen Opportunismus verklärt werden. Sie sind allerdings Ausdruck einer idealisierten interaktionellen Dyade zwischen dem Klienten und dem professionell involvierten, welche den erweiterten institutionellen und sozialen Einfluss versucht zu umgehen. Lediglich durch Integration der unterschwelligen Legenden gelingt dem Team seine Kohäsion aufrecht zu bewahren.